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#MiSA-Report: "Wer den Master macht, fördert auch die Profession."
Petra Baumann (52) war einst die erste Polizistin des Kantons Glarus. Über Umwege kam sie zur Sozialen Arbeit und fand darin ihre Berufung. Heute steht sie kurz vor dem Abschluss ihres Master-Studiums in Sozialer Arbeit – für sie ein Türöffner in vielerlei Hinsicht und ein Booster für die Profession.
«Für soziale Ungerechtigkeit war ich schon immer feinfühlig, denn ich kenne sie aus eigener Erfahrung. Mein Vater migrierte mit 14 Jahren von Österreich in die Schweiz und in seinen Zwanzigern in den Kanton Glarus, um zu arbeiten. Auch meine Mutter ist Österreicherin. Als sich meine Familie mit mir einbürgern lassen wollte, stimmte nur knapp die Hälfte der Bürgergemeinde dafür, obwohl ich mein ganzes Leben in ihrer Mitte gelebt hatte. Das empfand ich als ungerecht. Diese Erfahrung hat mich geprägt.»
1992 wurde Petra Baumann die erste Polizistin im Kanton Glarus. Als einzige Frau im Team musste sie als Aspirantin traumatisierte Opfer von Sexualdelikten befragen. Nach drei Jahren im Polizeidienst bekam sie ihr erstes Kind und kündigte, bewarb sich jedoch nach der Familienpause erneut bei der Polizei, und zwar auf eine Stelle in der Administration. Statt als Bürokraft wurde sie jedoch als Polizeiassistentin eingestellt und machte mit Einvernahmen, Spurensicherungen und ähnlichem alles, was ihre Polizeikollegen auch taten, mit Ausnahme des Aussendiensts. Der Job gefiel ihr, doch es fehlten die Karrieremöglichkeiten.
Wie kamen Sie von der Polizei zur Sozialen Arbeit?
Für die Einvernahme von Kindsopfern absolvierte ich 2012 den Opferbefragungskurs an der Hochschule Luzern. Durch meine Tätigkeit war mein Interesse für die Soziale Arbeit geweckt worden, denn hinter den Delikten stecken stets komplexe Lebensgeschichten. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung wurde ich Assistentin einer Sozialarbeiterin bei der Sozialhilfe Glarus. Als später ein Teammitglied pensioniert wurde, wurde ich angestellt: zunächst als (unausgebildete) Sozialarbeiterin in der Sozialhilfe. Berufsbegleitend absolvierte ich das Bachelor-Studium in Sozialer Arbeit an der Hochschule Luzern, wo ich <sur dossier> aufgenommen worden war.
Obwohl Petra Baumann sagt, sie sei bildungsfern aufgewachsen, hat sie sich schon immer gerne Wissen angeeignet. So war für sie schnell klar, dass sie nach dem Bachelor ins Master-Studium starten wollte. Dieses wird sie im Herbst 2023 abschliessen.
Weshalb haben Sie sich für den konsekutiven Master entschieden?
Ich wollte explizit den generalistisch ausgerichteten Master in Sozialer Arbeit machen, nicht einen MAS, denn ich suche das breite Wissen. Meine Motivation? Sicher eine gesunde Portion Ehrgeiz und die Lust, immer wieder Neues zu lernen. Ausserdem habe ich in meinem Beruf mit vielen Fachpersonen aus anderen Disziplinen zu tun, die oft über sehr gute Ausbildungen verfügen: Ärztinnen und Ärzte, Juristen, Staatsanwältinnen. Ich hatte das Bedürfnis, in meinem Fachgebiet gleichermassen auf Augenhöhe mit diesen Expertinnen und Experten zu stehen. Mit dem Master-Studium hat sich mir das Feld der Sozialen Arbeit tiefgehend eröffnet. Ich habe erkannt: Die Soziale Arbeit hat nicht nur einen Gegenstand, sondern viele Gegenstände. Eine Tür geht auf, dahinter kommen zehn weitere Türen. Ich musste mich im Master ganz neu mit der Sozialen Arbeit auseinandersetzen, und diese Auseinandersetzung macht ja letztlich auch die Profession aus.
Haben Ihre Arbeitgebenden Ihr Master-Studium unterstützt?
Ich habe neben dem Studium immer mindestens 70 bis 80 Prozent gearbeitet und hatte zum Glück Arbeitgebende, die voll und ganz hinter mir standen und mich unterstützten: Sie ermöglichten mir Homeoffice und flexible Arbeitszeiten und beteiligten sich finanziell an der Ausbildung. Das zeigt uns: Der Master ist auch im Interesse der Arbeitgebenden. Meine frühere Vorgesetzte hat den Master ebenfalls gemacht und damit sicherlich den Boden für meine Ausbildung bereitet. Deshalb sage ich heute: Wer den Master hat, verschafft der nächsten Generation Master-Studierender eine Starthilfe und stärkt die Profession. Jeder Master ist ein Booster für unseren Berufsstand.
Petra Baumann war viele Jahre in einer Opferberatungsstelle tätig, die sie bis zum Antritt ihrer neuen Stelle Anfang 2023 auch leitete. Im Rahmen dieser Tätigkeit koordinierte sie zudem ein Pilotprojekt zum Aufbau einer Fachstelle für Häusliche Gewalt sowie die Kinderschutzgruppe des Kantons Glarus.
Seit Januar 2023 sind Sie die neue Leiterin der Koordinationsstelle Häusliche Gewalt und Menschenhandel des Kantons St. Gallen. Hat der Master dabei geholfen?
Der Master war sicher ein Türöffner für die neue Stelle. Im Inserat wurden auch Fachpersonen der Jurisprudenz angesprochen. Ich glaube, ohne den Master hätte ich mir die Bewerbung gar nicht zugetraut. Durch den Master weiss ich, dass ich fähig bin, mit Ausdauer und umfangreichem Fachwissen komplexe Problemstellungen zu durchdringen und zu bewältigen.
Aufzeichnung: Eva Schümperli-Keller