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#MiSA Studie: Kindesschutz - Die Migrationserfahrung entscheidet mit

Menschen mit Migra­ti­ons­er­fah­rung werden schnell Merk­male wie fehlende Inte­gra­tion, Sprach­de­fi­zite oder Armut zuge­schrieben; Eltern werden als latent erzie­hungs­un­fähig betrachtet. Das kann gerade im Kindes­schutz schwer­wie­gende Folgen haben. Ladina Niggli hat für ihre Abschluss­ar­beit die Bedeu­tung des Migra­ti­ons­hin­ter­grunds im Kindes­schutz unter­sucht und heraus­ge­funden, wie wichtig es ist, die Eltern in ihrer Hand­lungs­fä­hig­keit zu stärken – auch auf der poli­ti­schen Ebene.

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«Bildungs­fern, arm, sozial und beruf­lich nicht inte­griert: Ich habe als Beiständin im zivil­recht­li­chen Kindes­schutz selbst fest­ge­stellt, wie schnell man Eltern mit Migra­ti­ons­er­fah­rung gewisse Eigen­schaften zuschreibt.» Das sagt Ladina Niggli, heute Team­lei­terin beim Sozi­al­dienst Asyl des Kantons Zug. Diese Zuschrei­bungen oder «Kultu­ra­li­sie­rungs­fallen», wie Niggli sie nennt, sind oft unbegründet oder zu verein­facht darge­stellt. Es gibt zahl­reiche Studien, die deut­lich belegen, dass Menschen mit Migra­ti­ons­er­fah­rung häufiger Benach­tei­li­gungen ausge­setzt sind, etwa in den Berei­chen Bildung, Arbeit, Wohnen und Einkommen. Auch im Kindes­schutz? Das wollte die gelernte Foto­fach­frau, die auf dem zweiten Bildungsweg zur Sozialen Arbeit kam, in ihrer Master-Arbeit heraus­finden. Dafür inter­viewte sie Mütter mit Migra­ti­ons­er­fah­rung, die Kontakt mit dem Kindes­schutz hatten.

Gerade der Kindes­schutz sei ein Hand­lungs­feld mit einem grossen Machtgefälle, sagt die Mitt­dreis­si­gerin. Profes­sio­nelle der Sozialen Arbeit können durch ihr Handeln massiv ins Fami­li­en­system eingreifen – bis zur Heraus­nahme eines Kindes aus der Familie. Allfällige Zweifel an der Erzie­hungsfähigkeit migran­ti­scher Eltern können also einschnei­dende Auswir­kungen haben.

Migra­ti­onss­pe­zi­fi­sche «Problem­ketten»

Niggli fand bei allen Befragten durch die Migra­tion begründete «Problem­ketten». So machte beispiels­weise eine schwie­rige finan­zi­elle Situa­tion – etwa aufgrund einer Arbeit, die nicht den eigent­lich höheren Quali­fi­ka­tionen der Betrof­fenen entsprach – wirt­schaft­liche Sozi­al­hilfe nötig. Ihr Bezug brachte jedoch Probleme mit der Aufent­halts­be­wil­li­gung mit sich, machte Umzüge schwierig und Kantons­wechsel zur Fami­li­en­zu­sam­menführung gar unmöglich. Die wirt­schaft­liche Sozi­al­hilfe gene­rierte also weitere Probleme in anderen Berei­chen wie Aufent­halts­be­wil­li­gung oder Wohnen. «Das ist ein typi­sches Bild», führt Niggli aus, «ein migra­ti­onss­pe­zi­fi­sches Problem führt zu einer ganzen Reihe von Schwie­rig­keiten, zu regel­rechten <Problem­ketten>. Und diese können zu Lebens­si­tua­tionen führen, welche der Kindes­schutz als <unzu­rei­chende mate­ri­elle Ressourcen> oder als <Vernachlässigung> und damit als Kindes­wohlgefährdung einschätzt.»

Indi­vi­du­elle Probleme sind struk­tu­rell begründet

Das Kindes­wohl ist der Grad­messer aller Entschei­dungen im Kindes­schutz. Die Abklärungs­in­stru­mente und Leitfäden des Kindes­schutzes orien­tieren sich bei den Kindes­wohl­abklärungen an Gefährdungs­merk­malen wie Erwerbs­lo­sig­keit, prekäre Finanzen, fehlendes Sozial­netz oder schlechte Wohn­verhältnisse. Natürlich hätten die indi­vi­du­ellen Probleme Rele­vanz für das Kind und darum müssten die Profes­sio­nellen handeln, stellt Niggli klar. «Gleich­zeitig liegt es aber in unserer Verant­wor­tung, die struk­tu­rellen Probleme, die ursächlich dahin­ter­stehen, zu erkennen und anzu­gehen.»

Die Zürcherin ist überzeugt: «Werden die struk­tu­rellen Ursa­chen in der Abklärung igno­riert und die Probleme dahinter nicht auf der poli­ti­schen Ebene ange­gangen, werden Eltern mit Migra­ti­ons­er­fah­rung immer unter Beob­ach­tung des Kindes­schutzes bleiben und allen­falls schwer­wie­gende Eingriffe in die Familie erfahren, die bis zur Fremd­plat­zie­rung eines Kindes gehen können.»

Eltern hand­lungsfähig machen

Oft sei die Wurzel des Problems, so Niggli, dass die betrof­fenen Eltern in ihrer Hand­lungsfähigkeit einge­schränkt seien, etwa aufgrund recht­li­cher Bestim­mungen wie beispiels­weise der Einschränkung der Bewe­gungs­frei­heit. «Ausländer­recht­liche Bestim­mungen sind leider oft nicht kindes­schutz­freund­lich», bedauert Niggli. «Kindes­schutz könnte eben auch bedeuten: Abbau von Diskri­mi­nie­rungen, recht­liche Gleich­stel­lung und bessere sozioökono­mi­sche Verhältnisse. So könnten wir den Eltern ihre Hand­lungsfähigkeit zurückgeben.» Dazu brauche es grund­le­gende Verän­de­rungen am poli­ti­schen und sozialen System, welche nicht durch die Soziale Arbeit allein ausge­löst werden könnten. Die Soziale Arbeit als Profes­sion und Diszi­plin könne jedoch Wissen über Ursache und Wirkung des Migra­ti­ons­hin­ter­grundes im Kindes­schutz vermit­teln und somit die Öffent­lich­keit, die Politik und andere Berufs­gruppen sensi­bi­li­sieren.

Soziale Arbeit als poli­ti­sche Akteurin

Ihren Blick auf komplexe soziale Problem­lagen, die kausal zusam­menhängen, habe das Master-Studium defi­nitiv geschärft, sagt Niggli. Sie würde sich wünschen, dass alle Profes­sio­nellen in der Praxis ein Bewusst­sein für Diskri­mi­nie­rungs­me­cha­nismen, die durch die Migra­tion ausgelöst werden, entwi­ckeln. «Gerade im Kindes­schutz ist es an uns Profes­sio­nellen, die anderen Berufs­gruppen in den Gremien dafür zu sensi­bi­li­sieren», mahnt sie. Die Soziale Arbeit sei per se poli­tisch und deshalb liege es auch in ihrer Verant­wor­tung, Missstände aufzu­zeigen. «Wir müssen unser Wissen mit der Öffent­lich­keit teilen und Fürspre­cherin für Menschen sein, die allzu oft nicht gehört werden.»

Text: Eva Schümperli-Keller

 

Weitere Infor­ma­tionen zur Arbeit

Die Master-Arbeit von Ladina Niggli kann hier herun­ter­ge­laden werden.

 

 

Trans­for­ma­tion gestalten – Das Master-Studium in Sozialer Arbeit

Diese Abschluss­ar­beit ist im Rahmen des Masters in Sozialer Arbeit entstanden. Das Master-Studium ermöglicht Fach­per­sonen aus der Sozialen Arbeit eine opti­male Posi­tio­nie­rung für anspruchs­volle Aufgaben in Praxis, Forschung sowie Lehre und eröffnet neue beruf­liche Aussichten. Der Master in Sozialer Arbeit ist eine Koope­ra­tion der Fach­hoch­schulen Bern, Luzern und St. Gallen. Neben den Basis­mo­dulen bieten die Stand­orte thema­ti­sche Schwer­punkte zur indi­vi­du­ellen Profilschärfung. Mit dem Projek­tate­lier und der Forschungs­werk­statt sowie in der Master-Arbeit können die Studie­renden aktu­elle Fragen aus der Praxis bear­beiten und ihre Forschungs­hand­werk erproben und schärfen.

Weitere Infor­ma­tionen gibt es hier.

 

 

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